Das Zauberwort heißt „Ja“ – Zur Wirkungsweise von Familienaufstellungen

Martin Lenz, Mai 2011, Vortrag auf der Gesundheitsmesse in Oranienburg-Lehnitz

Ich arbeite nunmehr seit neun Jahren als Leiter von Familienaufstellungen in Gruppen und in Einzelsitzungen. In dieser Zeit hat mich ein Satz von Bert Hellinger, dem Begründer dieser Methode, begleitet: „Anerkennen, was ist!“ Und wenn ich versuche, diesen Satz in einem einzigen Wort zusammen-zufassen, dann heißt es schlicht: „Ja!“. Dieser Satz und dieses Wort wurden für mich in meinem Leben und in meiner Arbeit immer wichtiger und mit ihnen eine einfache Gesetzmäßigkeit: auflösen oder verändern kann sich nur etwas, was erst einmal anerkannt bzw. bejaht wurde! Jeder Widerstand, jedes „Nein“ kräftigt das Abgelehnte und unsere Bindung daran. Somit kann man alle Probleme als Ausdruck eines Widerstandes gegen etwas, was im eigenen Leben da ist, betrachten.

Diese Ablehnung kann mehr oder weniger bewusst sein. Auf persönlicher Ebene können viele ihre Widerstände relativ gut formulieren bzw. kommen im Gespräch schnell auf bestimmte Zusammenhänge. So kann es sein, dass man sich selbst ablehnt (den eigenen Körper, bestimmte Gefühle oder Gedanken, ein Symptom oder eine Krankheit), dass man die gegenwärtige Lebenssituation nicht anerkennen will (die Menschen, die Umstände) oder dass man mit dem eigenen Schicksal hadert (mit den Eltern, der Kindheit, mit bestimmten prägenden Erlebnissen).

Bei den systemischen Verstrickungen hingegen, ist man auf eine unbewusste Weise mit dem Schicksal bestimmter Menschen der Herkunftsfamilie verbunden. Aufstellungen dienen hier als Diagnoseinstrument, um herauszufinden, ob in der Familie jemand ausgeschlossen wurde (seine Zugehörigkeit nicht anerkannt wurde) oder jemand etwas Schweres erlebt hat und es nicht anerkennen konnte oder wollte, und ob es Kinder, Enkel oder auch Geschwister gibt, die sich aus tiefer, aber unbewusster Liebe heraus entschlossen haben, diesen Menschen zu helfen. So kann es z.B. sein, dass jemand versucht, für einen seiner Eltern dessen Mutter oder Vater oder auch den Partner zu ersetzen (weil sie abgelehnt wurden oder abwesend waren). Man kann dann nicht richtig Kind sein und es mangelt an Lebenskraft. Oder jemand beschließt, z.B für ein Geschwister oder Großelternteil eine Krankheit oder eine Schuld zu übernehmen oder mitzutragen. Das kann dann zu ähnlichen Symptomen führen oder derjenige fühlt sich belastet oder schuldig. In all diesen Fällen ist es wichtig, in der Aufstellungsarbeit dem inneren Kind in uns die bewusste Wahrnehmung des Erwachsenen zur Seite zu stellen und zu sehen, dass jeder sein Schicksal selbst tragen kann und muss und das jeder kindliche Versuch zu helfen, zur Verdopplung des Leides, aber nicht zur Lösung führt. Wenn es gelingt, das anzuerkennen und zu bejahen, dann kann die Liebe auf neue Weise fließen: befreit und stärkend.

In den Aufstellungen sehen wir oft am Anfang, dass z.B. die Eltern (durch Stellvertreter aus der Gruppe im Raum vom Klienten aufgestellt) unerreichbar im Abseits oder dem Klienten im Wege zum eigenen Leben stehen. Am Ende einer Aufstellung, in den sogenannten Lösungsbildern, stehen die Eltern oft wohlwollend hinter dem Klienten und stärken ihm den Rücken. Die Kraft fließt und der Blick nach vorne ist frei. Diese Veränderung werden durch verschiedenste Interventionen erreicht, jede Aufstellung ist einmalig. Immer arbeiten wir uns Schicht für Schicht dem „Ja“ entgegen, sei es durch Hereinnahme wichtiger Personen, durch Umstellungen, Bewegungen, Augenkontakt, Verbeugungen, Umarmungen und durch lösende Sätze und Worte. Ich gehe dabei soweit, wie es im einzelnen Falle möglich ist. Dabei ist es wichtig, immer auf Atem, Körper und Gefühle zu achten, denn jedes „Nein“ zeigt sich ja in einer körperlichen Verspannung oder in Form eines leidvollen Gefühls. Das „Ja“ offenbart sich schließlich als körperliche Entspannung, als befreiendes Ausatmen oder Fühlen. Der Lösungsweg beginnt immer bei der Anerkennung des Widerstandes gegen etwas und äußert sich z.B. als Gleichgültigkeit, Angst oder Wut. Wenn wir es schließlich wagen, Schmerz und Trauer anzunehmen, entdecken wir hinter allem die Liebe.

Je mehr wir „Ja“ sagen zu unserem Schicksal und damit die Verantwortung für uns selbst übernehmen, umso mehr Lebenskraft, die vorher in Opferhaltungen eingeschlossen war, wächst uns zu. Wir können nach vorne schauen, auf unser Leben mit all seinen Möglichkeiten. Und wir nehmen unser Herz wahr und unsere Wünsche, die nun nicht mehr aus einem Mangel, sondern aus einem „Ja“ zu uns selbst und zum Leben, so wie es uns geschenkt wurde, geboren werden.

Praktischer Teil:

Schließen Sie die Augen und stellen Sie sich etwas aus ihrem Leben vor, was Sie ablehnen oder stört: einen Menschen, eine Situation, ein Gefühl oder ein Symptom. Es ist sinnvoll, am Anfang erst mal mit einem „leichteren“ Fall zu beginnen. Stellen Sie sich dieses „Gegenüber“ vor Ihrem inneren Auge ganz bildlich vor und schauen Sie es an. Wie fühlen Sie sich? Wie geht es Ihrem Körper? Wie geht es dem „Gegenüber“? Wie ist die Verbindung zueinander?

Jetzt sagen Sie innerlich „Nein!“ oder „Ich mag dich nicht!“ oder „Ich will nicht, dass du da bist!“ oder etwas ähnlich Ablehnendes zu Ihrem „Gegenüber“. Wie fühlen Sie sich? Wie geht es Ihrem Körper? Wie geht es dem „Gegenüber“? Was hat sich an der Verbindung geändert?

Jetzt sagen Sie innerlich „Ja!“ oder „Ich verstehe dich!“ oder „Ich sehe dich!“ oder etwas ähnlich Anerkennendes zu dem „Gegenüber“. Wie fühlen Sie sich jetzt? Wie geht es Ihrem Körper? Wie geht es dem „Gegenüber“ jetzt? Was hat sich an der Verbindung geändert?

Anmerkung: Es kann sein, dass eine Anerkennung manchmal erst möglich ist, wenn eine andere Wahrheit von Ihnen oder vom „Gegenüber“ ausgesprochen oder ausgedrückt wurde, z.B.: „Es hat mir damals sehr weh getan!“ oder „Es tut mir leid!“. Zur Lösung systemischer Verstrickungen empfehle ich eine Familienaufstellung.

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